Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem heute verkündeten Urteil über die von der Bayerischen Staatsregierung im Juni letzten Jahres erhobene Normenkontrollklage entschieden und das „Bundeswahlgesetz 2023“ teilweise mit dem Grundgesetz für unvereinbar erklärt. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann: „Das Bundesverfassungsgericht hat damit unsere von Anfang an vertretene Rechtsansicht bestätigt, dass die ersatzlose Streichung der Grundmandatsklausel verfassungswidrig ist und auf die historisch gewachsene Fraktionsgemeinschaft von CDU/CSU Rücksicht genommen werden muss. Die Ampelkoalition hat hier hastig ein Gesetz beschlossen, obwohl schon im Gesetzgebungsverfahren zahlreiche verfassungsrechtliche Einwände erhoben wurden. Jetzt hat sie die Quittung dafür erhalten. Die bewährte Höhe der Sperrklausel von fünf Prozent hat das Gericht zurecht nicht beanstandet.“
Die von der Ampel vorgenommene Streichung der Grundmandatsklausel hätte nicht nur, aber vor allem Bayern treffen können. Herrmann: „Hätte beispielsweise nach einer Modellrechnung die CSU bei der nächsten Bundestagswahl deutschlandweit weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen erhalten, aber aufgrund ihrer flächendeckenden Verwurzelung weiterhin nahezu alle Wahlkreise gewonnen, wäre fast ganz Bayern ohne direkt gewählten Wahlkreisabgeordneten geblieben.“ Bayern wäre dann nur durch Abgeordnete repräsentiert gewesen, die Parteien entstammen, die hier nicht die Mehrheit haben, während die bayerische Mehrheitspartei im Bundesparlament gefehlt hätte. Es wären in diesem Fall auch insgesamt deutlich weniger Abgeordnete aus Bayern in den Bundestag eingezogen, weil den Ländern keine Mindestsitzzahlen entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil mehr zugeteilt worden wären. „Bayern wäre daher nicht-, falsch- und unterrepräsentiert gewesen. Das konnten wir erfolgreich abwehren.“
Herrmann bedauert die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, nicht noch weitergehend auch die sogenannte Zweitstimmendeckung im neuen Wahlgesetz für verfassungswidrig zu erklären. Künftig kann eine Partei keine Direktmandate mehr erhalten, wenn sie nicht mehr vom Zweitstimmenergebnis gedeckt sind. Herrmann: "Die für eine Demokratie so wichtige Integrations- und Repräsentationsfunktion der Wahl wird durch die Zweitstimmendeckung geschwächt." Es sei gegenüber den Wählerinnen und Wählern nicht zu vermitteln, dass der von ihnen im Wahlkreis mehrheitlich Gewählte nur deshalb nicht in den Bundestag einziehen kann, weil er im Ranking einen geringeren prozentualen Stimmenanteil hat, als die siegreichen Bewerberinnen und Bewerber seiner Partei in den anderen Wahlkreisen des betreffenden Landes. Herrmann: „Wäre das neue Wahlrecht bereits bei der Bundestagswahl 2021 zur Anwendung gekommen, wären allein in Bayern sieben von 46 Wahlkreisen „verwaist“ geblieben. Aber auch in Baden-Württemberg und im Osten Deutschlands wären viele Regionen ohne direkt gewählte Abgeordnete geblieben. Solche „Repräsentationslücken“ sind politisch nicht vermittelbar und führen nur zu Frust und Politikverdrossenheit. Wir werden uns damit politisch nicht abfinden. Es bleibt zu hoffen, dass diese Regelungen vom nächsten Bundestag wieder rückgängig gemacht werden.